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Veröffentlicht am 30.12.21

Brücke

Brücke, die; schön anzuschauen, erspart uns Umwege, oft als Metapher gebraucht

Als Agens der Gebiets- und Machterweiterung steht die Brücke klassischerweise im Visier von Umstürzlern und Konspiranten: „Ritzeratze! voller Tücke / In die Brücke eine Lücke“, heißt es schon bei Wilhelm Busch (Balkenbrücke, Holz). Doch auch als positiv besetzte Metapher für Verbindung und Verständigung über Grenzen und Gräben hinweg ist das Vorzeigekonstrukt der Bau- und Ingenieurskunst ein vielzitierter Klassiker (Bridge over troubled water, Hängebrücke, Stahl).

Genauso ist es im Bereich der Literaturübersetzung: Übersetzte Literatur baut präsumtive Brücken zwischen den Menschen, den Sprachen, den Nationalliteraturen (Fachwerkbrücke, Stein und Eisen). Sogar wir Übersetzenden betitelten unsere Jubiläumsschrift zum 60. VdÜ-Jubiläum 2014 mit „Souveräne Brückenbauer“ (Bogenbrücke, Papier).

Betrachten wir jedoch den Vorgang des Übersetzens selbst, ist die Metapher schief und wenig belastbar (Brück‘ am Tay, Auslegerbrücke). Übersetzen ist eben nicht das reine Hinüberwandernlassen von Textinhalten aus einem Sprachraum in den anderen („Jede Brücke ist eine Übergangslösung“, Klages), sondern vollzieht sich in der Anverwandlung, im Zerlegen und Anders-Neu-Zusammenfügen, in der Äquivalenzierung:

Ruft die Québecerin mit gequetschtem Daumen „Calice! (Kelch)“, meint sie „Mist!“, ruft der Franzos‘ „Putain! (Hure)“, meint er „Mist!“, rufen die Wallonier „Didjoss! (Name eines poln. Pornodarstellers)“, meinen sie „Mist!“. Das bedeutet nicht, dass beim Übersetzen immer Mist herauskommt, das bedeutet, dass uns beim Übersetzen nicht allein Semantik und Syntax des Ausgangstexts leiten dürfen, sondern in entscheidender Weise auch die Eigenheiten der Zielsprache, die Sprechsituation und das soziolinguistische Gepäck aller Beteiligten. Ergo, es kann umgekehrt durchaus deplatziert sein, sich bei einem Hammer-und-Nagel-Missgeschick vorschnell am semantischen Feld des „Tierkots“ zu bedienen und einen Kübel davon über die Sprachbrücke* zu karren.

Ein übersetzungsrelevater Bereich, in dem die Brückenbaukunst hingegen eine stimmige Metapher für unser Tun bietet, ist die Satzbaukunst: So wie heutige Spannbetonbrücken schier jede Geografie mit solider Eleganz überwinden und Schrägseilbrücken graziöse Schwerelosigkeit vermitteln, erbaut die heutige professionalisierte Übersetzerschaft ihrerseits luftig-leicht anmutende Gefügearchitekturen von eleganter Robustheit, die ihren fremdsprachlichen Vorlagen in nichts nachstehen.

*Stichwort „Brückensprache“: Bis ins 20. Jahrhundert war es Usus, sich zur Übersetzung von Literatur aus wenig gesprochenen Sprachen einer Übersetzung in eine viel gesprochene Sprache als Ausgangstext zu bedienen. Heute wird zunehmend davon abgesehen. Warum? Man denke an Wolfgang Neuss‘ „Jüngstes Gerücht“ (Innere Führungs-Kettenreaktion).