F
Veröffentlicht am 18.02.22

Fluchen

Geflucht, geschimpft und geschmäht wird überall auf der Welt. Doch was in einem Sprachraum gang und gäbe ist, gilt woanders schnell als krankhaft oder sogar strafbar.
„Wirkungsäquivalenz“ heißt das Zauberwort beim Übersetzen, und beim Übertragen von Flüchen gilt es umso mehr, da diese genauso wehtun müssen wie im Original.

Dazu sollten wir uns fragen, welche Funktion sie im konkreten Fall haben:
Ist es einfach nur ein Ausruf aus einem Schmerz- oder Ohnmachtsgefühl heraus, um die Resilienz zu stärken?
Soll kathartisch Dampf abgelassen werden?
Will die Figur andere möglichst öffentlich beleidigen, herabsetzen, verletzen, ohne handgreiflich werden zu müssen?
Oder dient das Fluchen nur dazu, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe (Soldaten, Biker, Jugendliche …) zu betonen?

Voraussetzung ist ein Tabubruch, und Tabus sind je nach Kultur unterschiedlich. Bewährt haben sich Gotteslästerung (gern in katholischen Ländern, wo man sich gegen Gott, die Heilige Familie und kirchliche Attribute wendet oder jemandem zum Teufel bzw. zur Hölle wünscht), Verwandtendiskreditierung (Osteuropa, Afrika und Asien), Verwünschungen (in den Niederlanden und Japan wünscht man sich mit Vorliebe Krankheiten oder den Tod an den Hals), ein wenig schmeichelhafter Vergleich mit (unreinen) Tieren, das Brandmarken des Verfluchten als dumm, hässlich oder anderweitig von der Norm abweichend, Ethnopaulismus (die abwertende Fremdbezeichnung für eine bestimmte Volksgruppe) oder sexuelle Beleidigung (vor allem in prüden, oft protestantischen Kulturen. Dort schmerzen Vergleiche mit Geschlechtsorganen besonders, genauso wie die Zuschreibung tabuisierter sexueller Praktiken oder die Bezeichung als sexuelle Versager*innen, sich Prostituierende oder uneheliche Nachfahren).
In unserer Zielsprache Deutsch sind vor allem Vergleiche mit Fäkalien / Exkrementen beliebt. Hier hilft also wirklich häufig der sprachliche „Griff ins Klo“.

Doch manchmal greifen „Mist“, „Scheiße“, „Arschloch“ einfach zu kurz. Da kann es helfen, kreativ zu werden, denn das praktische am Fluchen ist, dass sich Fluch-Versatzstücke nach Belieben miteinander kombinieren lassen, um den Tabubruch und damit den Beleidigungsgrad zu steigern („Du gottverdammter Wichser von einem beschissenen Sauhund!“). Ebenfalls interessant kann die Verwendung von Euphemismen sein, vor allem im ironischen Kontext (Stichwort: „Frauenversteher“, „Warmduscher“ …).

Doch Achtung: Je zeitgeistiger man wird, desto veralteter kann ein Text im Rückblick wirken. Und was früher einmal der stärkste Tabubruch war (Blasphemie, dann Sexuelles und Exkrementelles), ist heute eher die politisch inkorrekte Beschimpfung als normabweichend („schwul“, „behindert“).

Um Wirkungsäquivalenz zu erreichen, sollte man sich also immer fragen, wie stark der Tabubruch ist, ob es phonetische Besonderheiten zu berücksichtigen gibt, wie hoch der Kreativitätsgrad des Fluchens ist (einfach, kombiniert, neu erfunden?), ob es sich um Jugend- oder Erwachsenensprache bzw. um die einer ganz bestimmten sozialen Schicht handelt und zu guter Letzt: Wer ist die Zielgruppe? Welche Vorstellungen hat der Auftraggeber? Wird Zeitlosigkeit oder eher eine sprachliche Momentaufnahme angestrebt? Dann klappt es auch „auf gut Deutsch“.