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Veröffentlicht am 26.12.21

Jugendbuch

„Buch für Jugendliche“, heißt es im Duden. Der Begriff „Jugendbuch“ taucht überhaupt erst im 19. Jahrhundert auf, richtig verbreitet ist er ab der Mitte des 20. Jahr­hunderts. Als „Buch für die Jugend“ oder „Buch für Ju­gend­liche“ oder „Buch, dessen Zielgruppe Jugendliche sind“ wird er im We­sentlichen durch die Ausrichtung auf eine Zielgruppe de­fi­niert. Als solches grenzt sich das Jugend­buch auf der einen Seite ab vom Kinderbuch, auf der anderen von der Er­wachse­nenliteratur – jedenfalls hat es sich so ab­gegrenzt, bevor in den 90er Jahren auch im deutschen Sprach­raum Be­griffe wie „Young Adult“-, „New Adult“- und – vor allem bei Verlagen beliebt – „All-Age“-Literatur aufkamen.

Der Definition nach haben wir es mit Texten zu tun, die sich an Menschen zwischen etwa zwölf und 18 Jahren richten. Eine Gattung also, die sich allein durch das Alter ihrer Le­ser*innen definiert? Die Definition ist zu erweitern bzw. aus ihr ergeben sich Eigenschaften und Beson­derheiten der Texte wie auch ihrer Produktion: Etwa, dass Autor*innen ihre Leser*innen und deren Kenntnisse anders im Blick haben, für ein bestimmtes Alter schreiben und darauf Rücksicht neh­men (unter anderem auf Weltkenntnis und sprachlich-intel­lektuel­len Entwicklungsstand der Zielgruppe). Oder dass wir es mit einem asymmetrischen Produktionsprozess zu tun haben, was für die gesamte Kinder- und Jugendliteratur gilt: Er­wachsene schreiben und übersetzen und lektorieren für Nicht-Er­wachse­ne.

So weit, so gut. Aus Übersetzer*innenperspektive kann man nun fragen, ob das Folgen für die Arbeit hat und wenn ja, welche. Lassen wir den außertextlichen Sachver­halt, dass das Übersetzen von Jugendbüchern (wie auch von Kinderbüchern) in aller Regel schlechter bezahlt wird als das von Büchern für Erwachsene, hier außer Acht, und beschränken wir uns auf den alleinigen Übersetzungsprozess. Ja, diese Besonderheiten können Folgen für die übersetzerische Arbeit haben. Dessen sollten wir Übersetzer*innen uns bewusst sein.

Um welche Folgen kann es da gehen?

Je nach Original, nach Alter und (Vorsicht: Erwachsenen­perspektive!) unterstelltem Wissen meiner Leser*innen ver­halte ich mich beim Übersetzen womöglich unterschiedlich. Das bedeutet, dass ich zunächst die Gegebenheiten klären und dann entscheiden sollte, wie ich zu ihnen stehe – ob ich sie be­rück­sichtige und wenn ja, in welchem Maße. Welchen Regeln und Rücksichtnahmen unterwirft sich das Original womöglich? Ist es bewusst für eine bestimmte Altersgruppe geschrieben? Hat es pädagogische Absichten? Nimmt es aus dieser Haltung Rück­sicht auf seine sprachliche Gestaltung? Die Antworten wirken sich auf meine Arbeit aus. Genau wie auch die Über­legung, wo ich als Übersetzer beim Vermitteln unbekannter Welten stehe – bleibe ich nah bei der anderen Kultur oder nähere ich das Frem­de der Le­benswelt meiner Leser*innen an? Zwischen mög­licherweise erforderlicher Anpassung zum besseren Ver­ständnis und übertriebenem Eingriff ist es nur ein kleiner Schritt. Lasse ich mich vom „Markt“, von „Wünschen“ des Ver­lags be­einflussen? Auch von dort können pädagogische Eingriffe – für ein bestimmtes Alter nicht tolerierte Themen, Ausdrücke, Sach­verhalte -, getarnt als Rücksichtnahme oder als Fürsorge oder ungetarnt als Furcht vor nicht-kaufenden El­tern, erfol­gen. Wie verhalte ich mich demgegenüber? Die Fragen können in der Theorie kaum be­antwortet werden, das geht nur im kon­kreten Fall – aber dass sie sich beim Über­setzen von Jugend­büchern immer wie­der stellen, gehört zu den (übersetzerischen) Besonderheiten der Gattung.