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Veröffentlicht am 26.12.21

Körpersprache

Verhaltensregeln gibt es wie Sand am Meer. Dennoch. Wie der Philosoph Paul Watzlawick betont: „Verhalten hat kein Gegenteil.“[01]Paul Watzlawick: Man kann nicht nicht kommunizieren: Das Lesebuch (Hogrefe AG Bern; 2016) Ob Segen oder Fluch, uns allen wird an der Wiege gesungen: „Man kann nicht nicht kommunizieren.“[02]Paul Watzlawick: Man kann nicht nicht kommunizieren: Das Lesebuch (Hogrefe AG Bern; 2016)

Während ein Neugeborenes seine ersten Erfahrungen mit der Schwerkraft macht, beginnt unter der liebevollen Aufsicht der Verwandtschaft die Versprachlichung seines Körpers. Sanft, aber entschieden wird es immer mehr vom nonverbalen zum verbalen Agieren hingeführt.

Spätestens im Schulalter erfahren Kinder, dass sie beim Sprechen nicht zappeln, nicht mit den Haaren spielen oder fuchteln sollen. Verhaltensregeln verhindern nicht, dass sich der Körper pausenlos mitteilt, aber sie sorgen dafür, dass sich das Nonverbale dem Verbalen unterordnet, so wie ein Dialekt sich der Hochsprache unterordnet.

Hat jemals jemand Lob für schönes Körpersprechen bekommen? Ach, du hast aber eine schöne Hand-Haltung! Und wie du den Kopf zur Seite legst! Dafür gebe ich dir die beste Kopfnote!

Nein, zu viel eigenwillige Gestik ist beim Vortragen zu vermeiden. Das lehren uns Kommunikationsexperten, FBI-Agenten und Business-Trainer, die in ihren Impulsvorträgen, Workshops und versierten Büchern beibringen, wie unsere Körper für uns und nicht gegen uns sprechen.

Einige der Ratschläge erinnern an Großmutters Ermahnungen: Gezappel oder das Herumspielen an den eigenen Haaren lassen die Person unsicher wirken. Wir sollen uns auch nicht in die Karten schauen lassen. Das unwillkürliche Wippen mit dem Fuß ist kein Joker.

Beim Poker gehören „bewusste Tells“ zur körperlichen Spielstrategie, die dazu dient, die Gegenspieler effizient hinters Licht zu führen. Nur Anfänger offenbaren „unbewusste Tells“ wie Lippenknabbern, Nackenkratzen, Augenreiben. Der Profi verhält sich dagegen oft widersprüchlich zu seinem Blatt. Hat er gute Karten, so zeigt er sich körperlich bewusst ängstlich.

Aber mit den ehrgeizigen Beschreibungen dessen, wie wir vermeiden, uns mit Händen und Füßen, um Kopf und Kragen zu reden, wird die Versprachlichung des Körpers nur zum Teil vollzogen. Um ein Zusammenspiel von Körper und Sprache geht es bei den sogenannten Phraseogesten. Wenn ich meine Wut mit der Phrase „Ich hatte so einen Kopf“ ausdrücken will, dann brauche ich meine Hände, um die enorme Größe anzudeuten. Wenn ich sage: „Mir steht es bis hier“, muss ich über meinem Kopf mit der Hand hin und her fuchteln und den imaginären Wasserspiegel andeuten.

Es kann noch mehr zur Sache gehen: Kinegramme beschreiben nonverbales Verhalten. Bei diesen Phraseologismen geht es weniger darum, was der Körper macht, mehr um die auslösenden Gefühle des Agierenden: Wir raufen uns die Haare, stampfen mit den Füßen, stecken den Kopf in den Sand, kriechen jemandem in den Arsch. Wobei wir es bei der letzten Phrase bereits mit einem Pseudo-Kinegramm zu tun haben, das sich (in der Regel) auf einer rein symbolischen Bedeutungsebene abspielt. Beim Arschkriechen gelten die Gesetze der Schwerkraft nicht mehr, nicht das Wie, nur noch das Warum zählt. Pseudo-Kinegramme beschreiben Verhalten im übertragenen Sinn. Keiner erwartet eine wahrhaftige körperliche Geste, wenn er sie hört. Ich kann mir ein Bein ausreißen, den Kopf verlieren. Gleich danach die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Ich reiße mich für jemanden in Stücke, denn am eigenen Schopf packen und aus dem Sumpf ziehen kann ich mich immer wieder. In der Sprache hat der Körper mehr Fähigkeiten als alle Superhelden des Marvel-Universums zusammen.

Die körperlichen Ereignisse, die in den Phrasen festgehalten werden, können von Sprache zu Sprache unterschiedlich sein und den gleichen übertragenen Sinn haben, manchmal geht es nur um kleine Unterschiede. Diese Fälle sind für mich besonders amüsant, weil ich mich unweigerlich frage, was die Gründe für die leichte Verschiebung sein könnten. Warum wird aus dem Blatt, das man nicht vor den Mund nimmt, im Ungarischen ein Vorhängeschloss? Endlos könnte man das Vergleichen fortsetzen. Wobei genauso viele Idiome wortwörtlich übernommen werden: Eine Hand wäscht die andereKéz kezet mos. Warum so und nicht doch anders?

Lauter schöne Fragen für sehr, sehr komplizierte Antworten.

References
01, 02 Paul Watzlawick: Man kann nicht nicht kommunizieren: Das Lesebuch (Hogrefe AG Bern; 2016)