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Veröffentlicht am 26.12.21

Syntax

Über die Syntax wird schon seit der Antike nachgedacht, und zwar in enger Verbindung zur Logik, Rhetorik und Poetik. Griechisch „syntaxis“ bedeutet Zusammenstellung, Anordnung, Wortfügung – die Art, wie wir die Wörter, Wortgruppen, Satzteile miteinander verknüpfen, ehe wir mit einem Punkt enden. Und eventuell den nächsten Satz anschließen, Absätze, ganze Texte ausbilden.

Sicher geschieht dieses Verkoppeln, viel stärker als bei der Wahl des richtigen Wortes, bei vielen Sprechern und auch Schreibenden intuitiv, unbewusst; sie folgen einem Satzbauplan, der letztlich unendlich viele Varianten zulässt. Beim Übersetzen aber werden wir – durch den unterschiedlichen Bau der Sprachen, der, aus der man übersetzt, und der Zielsprache – irritiert, mit der Nase oder vielmehr dem Ohr darauf gestoßen, dass ein Satz mit fremder Syntax nicht klingt.

Das Deutsche unterscheidet sich eben beispielsweise darin vom Englischen, dass der Clou im Satz meist nicht in der Mitte steht, sondern am Ende: „Sehr geehrte Fahrgäste! Im öffentlichen Nahverkehr besteht die Pflicht zum Tragen einer medizinischen Maske“, lautet eine aktuelle Durchsage in den Zügen der Berliner S-Bahn, dagegen englisch: “Dear passengers! It is compulsory to wear a medical mask when on public transport”.

Viele weitere Beispiele für das Schwergewicht des deutschen Satzendes und alle erdenklichen Stellungsvarianten bietet das hiermit eindringlich empfohlene Buch von Judith Macheiner, „Das grammatische Varieté oder die Kunst und das Vergnügen, deutsche Sätze zu bilden“.

Vom Vergnügen abgesehen, es lohnt sich auch, den Finessen des Satzbaus nachzugehen, vergleichend im Original und seinem zu findenden Pendant. Denn es ist weitgehend die Syntax, mit deren Mitteln wir den Charakter eines Textes prägen. Mit kurzen, elliptischen Sätzen können wir einen Text gehetzt oder auch lakonisch wirken lassen, mit großen, komplexen Satzgebäuden können wir Spannung aufbauen und den Leser oder Hörer neugierig auf das Ende machen – oder zulassen, dass er sich verheddert und aussteigt.

Wollen wir, immer mit Blick auf die Strategien des Originals, den Sinngehalt des Verbs und damit den Witz des ganzen Satzes noch nicht verraten, dann setzen wir im Hauptsatz ein Hilfs- oder Modalverb, einen Verbstamm oder den noch wenig aussagekräftigen Teil einer Wortverbindung nach vorn – und zögern die Komplettierung durch das sinntragende Vollverb, die Vorsilbe oder, im folgenden Beispiel, die präpositionale Ergänzung zum Schließen der Satzklammer weit hinaus: „… und als die Stunde gekommen war, trat der Knabe mit gebieterischer Miene, einem jungen Fürsten ähnlich, die Peitsche und die Pistole nachlässig in der Hand, so, als sei er meilenweit davon entfernt, zu denken, sich irgendeiner andern Waffe als nur seiner Todesverachtung zu bedienen, in den Käfig …“ (Robert Walser: Der Knabe). Stellen wir im mündlichen Dialog Elemente ins Nachfeld: „Mal sehen, was sie ergibt, die Diskussion …“, dann signalisieren wir dem Gesprächspartner unsere Bereitschaft, das Wort an ihn abzugeben; bauen wir dagegen alles in die Verbklammer ein, dann zeigen wir, dass wir weitersprechen möchten. Auch ob eine Äußerung als mündlich oder schriftlich verstanden wird, steuern wir oft durch die Syntax: Ein Hauptsatz, der mit „weil“ beginnt, wird ganz bestimmt immer als mündlich empfunden.

Der einfachste Test, ob ein Satz syntaktisch stimmt – laut lesen! Wohl weil der Ursprung der Sprache im Mündlichen liegt, kommt man darüber auch den Quellen am nächsten.