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Veröffentlicht am 26.12.21

Wortspiel

Im Duden findet sich unter dem Eintrag „Wortspiel“ die Erläuterung: „Spiel mit Worten, dessen witziger Effekt besonders auf der Doppeldeutigkeit des gebrauchten Wortes oder auf der gleichen bzw. ähnlichen Lautung zweier aufeinander bezogener Wörter verschiedener Bedeutung beruht“. Mein Deutsch ist nicht gut genug, um zu verstehen, was „witzig“ meint. Lustig? Merkwürdig? Geistreich? Oder meint es alles drei zugleich – und ist somit hier seinerseits ein Wortspiel?

Im Anfang war das Wortspiel, und das Wortspiel war in der Schrift. Denn indem frühe Bilderschriften, wie die ägyptischen Hieroglyphen oder die sumerische Keilschrift, sich erweiterten und plötzlich durch Verwendung des Klangs von etwas, das bezeichnet werden konnte, etwas bedeuteten, was nicht bezeichnet werden konnte, war das Wortspiel in der Welt. Die meisten chinesischen Schriftzeichen sind Phonogramme, bestehen also aus einem semantischen Radikal (Bedeutungsträger) und einem Phonetikum, das die Aussprache des Wortes mit dem Zeichen eines ähnlich klingenden Wortes zusammenfügt, so wird z.B. das Zeichen  皇,huáng, welches “Kaiser” meint, verbunden mit dem Radikal “Insekt” zu  蝗 huáng, “Heuschrecke.”

Im Anfang war auch die Tat. In den frühen Texten der oralen Kulturen galten Wörter nicht als fixe Zeichen mit eindeutigen Grenzen, sondern als Sprachhandlungen. Da Texte niedergeschrieben wurden, um (meist anderen) laut vorgelesen zu werden, waren die Schriftzeichen so etwas wie Gedächtnisstützen für die mündliche Verbreitung. Deshalb waren antike Texte häufig begleitet von Kommentaren (etwa Volksetymologien) zu den diversen sprachlichen Entscheidungen des jeweiligen Textes. Das Wortspiel – in der Bibel, im Daodejing, im Heraklit und in den Orakelsprüchen Konstruktionsprinzip des Textes – galt lange Zeit in der Sprachgeschichte als Werkzeug zur Entdeckung der (nicht-rationalen) Natur der Dinge, ähnlich wie Zufall und Prophezeiung. Nahezu alle antiken Wortspiele wurden in den Übersetzungen jedoch zerstört, denn man übersetzt, bewusst oder unbewusst, nie einfach Wörter in andere Wörter, sondern Sprachakte der einen Sprache in Sprachakte der anderen Sprache.

Nur in kleinen Schritten gewann die Textualität gegenüber der Oralität an Raum. Im Gefolge der Textualisierung entstanden: das leise Lesen, die Abtrennung der Wörter voneinander, die Kodifizierung der Orthographie und schließlich das Lexikon. Allmählich verwandelte die Entwicklung der Druckkunst das Wort von einer mehrdimensionalen Sprachhandlung zu einem Saussureschen Zeichen, bei dem im Idealfall Signifikant und Signifikat eindeutig sind. In Folge dessen gibt es heute wesentlich mehr Wörter als früher, doch sie sind in ihrer Bedeutung enger und spezieller; Synonyme teilen das semantische Territorium untereinander auf. Wo noch in barocken Texten Schlüsselwörter verschiedene Themen, Charaktere und Handlungspunkte verbinden, fallen diese auseinander, wenn man die Schlüsselwörter heute mit verschiedenen, nahe beieinanderliegenden Fast-Synonymen übersetzt. Ab 1700 verwandelt sich die Bedeutung des Wortspiels aus einem Konstruktionsprinzip zu einem Dekor und wird zum Beleg für niedrigen Humor.

Die Kritik des Rationalismus im zwanzigsten Jahrhundert entwertete die Sprache der Vernunft, die einst die Sprache der Natur war, in ein Werkzeug zu maximalem Nutzen. Die menschlichen Sprachen wurden wieder zu autonomen Bedeutungsgeneratoren, wobei das Interesse für die Vielfalt und die soziale Funktionsweise der Sprache dazu führte, dass Wörter wieder als Sprachakte verstanden wurden. Psychoanalytiker, Anthropologen, Philosophen und Schriftsteller haben das Wortspiel – und allerlei andere Arten des Spielens – wieder aufgewertet.

Wortspiele sind schwer zu übersetzen, denn jede Sprache besitzt ein je eigenes, einzigartiges Netzwerk von formalen Ähnlichkeiten zwischen Wörtern. Jeder Versuch, etwas mit Wortspielen zu durchdenken, geht in jeder Sprache eigene Wege. Aus diesem Grund tendieren viele Übersetzer dazu, um eines kohärenten Sinns willen Wortspiele einfach zu ignorieren. Andere Übersetzer versuchen, Logik und Effekt eines Wortspiels zu reproduzieren, auch wenn sie dafür semantische Kompromisse eingehen müssen. Wie man ein Wortspiel zu übersetzen hat, hängt unter Umständen auch davon ab, welche Art der Lektüre man anvisiert, ob der Leser Hilfe benötigt, das Original besser zu verstehen, oder ob der Leser eine Version des Originals in der eigenen Sprache sucht. Zwar schätzen die meisten Leser ausführliche Hinweise zur Ausgangssprache und zu deren kulturellen und strukturellen Eigenarten, doch die meisten Verlage halten derartige Kommentare für einen Ausbund an Wissenschaftlichkeit und fürchten Verkaufseinbußen. Deshalb vertreten sie die Ideologie, dass Übersetzungen für sich sprechen müssen.