Offen für Neues: maschinelles und inklusives Übersetzen

Es gibt ständig neue technologische Entwicklungen und auch Sprache unterliegt einem stetigen Wandel. Beides können Übersetzer:innen als Herausforderung oder Chance betrachten. Dieser Beitrag ist ein Plädoyer für Letzteres.

Dass maschinelle Übersetzung fehlerhaft ist, überrascht wahrscheinlich niemanden, am wenigsten diejenigen, die mit Übersetzung arbeiten. Maschinelle Übersetzung kann zu peinlichen Missgeschicken führen – z. B. wurde der Name des chinesischen Präsidenten Xi Jinping bei einem Besuch in Myanmar im Jahr 2020 fälschlicherweise als „Mr. Shithole“ ins Burmesische übersetzt. Aufgrund oft witziger Falschübersetzung gibt es in der Tonight Show mit Jimmy Fallon den Running Gag namens Google Translate Songs (siehe Ed Sheerans Hit „I like that cadaver“). Nichtsdestotrotz wächst die Relevanz von maschineller Übersetzung und Übersetzer:innen berichten zunehmend, dass sie bei ihrer Arbeit derartige digitale Hilfsmittel zumindest als Ausgangspunkt oder Inspiration benutzen.

Auf Facebook gibt es die Gruppe „LiteraturübersetzerInnen unter sich“, in der sich ebendiese Berufsgruppe über alles, was zu ihrer Tätigkeit gehört, austauscht. Kürzlich fragte eine Person, welche (Übersetzungs-)Software die Kolleg:innen verwenden. So einige erwähnten das Online-Übersetzungstool DeepL und klangen in ihren Antworten selbst überrascht, maschinelle Übersetzung in ihre Arbeit miteinzubeziehen. Sie setzten hinzu, es würde als Synonymwörterbuch gut funktionieren und bei Wortfindungsschwierigkeiten auf die Sprünge helfen. Als Herausgeberinnen der bilingualen Plattform poco.lit. geht es uns ganz ähnlich wie den Kolleg:innen: DeepL und Google Translate finden wir teilweise nützlich, aber uns fällt auf, dass sich beide Programme mit idiomatischer Sprache besonders schwer tun – schließlich ist das, was menschliche Übersetzer:innen machen, kein „Stück Kuchen“.[01]Im Englischen wird der Ausdruck „piece of cake“ verwendet, um zu sagen, dass etwas leicht oder unkompliziert ist – was auf das Übersetzen … Fußnote lesen An Grenzen stößt maschinelle Übersetzung auch, wenn es um inklusive Sprache geht, die uns in diesem Beitrag besonders interessiert.

Wer das englische Wort „nurse“ in eins der etablierten Übersetzungsprogramme im Internet eingibt, erhält als Ergebnis höchstwahrscheinlich die deutsche Übersetzung „Krankenschwester“. Das Programm verwandelt einen Begriff, der im englischen Original zumindest grammatikalisch geschlechtsneutral ist, in einen eindeutig geschlechtsspezifischen. Krankenschwester ist ein besonders offensichtliches Beispiel – aber es gibt auch subtilere Versionen dieses Problems. „Economics professor“ wird zu einem männlichen „Wirtschaftsprofessor“, während „cashier“ zu einer weiblichen Kassiererin wird. Wie kommt es dazu und, für unsere Zwecke noch wichtiger, warum ist das ein Problem?

Im Gegensatz zu menschlichen Übersetzer:innen entscheiden sich Maschinen nicht bewusst für oder gegen eine genderspezifische Ausdrucksweise. Sie werden mit Texten trainiert, die Menschen geschrieben haben, und lernen so, wie Begriffe am häufigsten verwendet werden. Maschinelle Übersetzung spiegelt also menschliches Verhalten wider und damit auch etablierte sprachliche Gewohnheiten, die möglicherweise (unbewusste) Vorurteile beinhalten. Menschen lernen ihrerseits durch ihre Erziehung und ihr soziales Umfeld, wie sie sich „richtig“, also normgerecht, ausdrücken und genderinklusive oder genderfreie Formulierungen sind noch nicht mehrheitsfähig geworden. Wenn der Großteil der Gesellschaft das generische Maskulinum verwendet bzw. bestimmte Berufe oder Rollen mit bestimmten Geschlechtern in Verbindung bringt, und Maschinen von Daten lernen, die ihnen zur Verfügung stehen, sind sie ein Abbild ebendieser gesellschaftlichen Normen.

Über diskriminierungskritische Sprache wird in Deutschland schon lange hitzig diskutiert, Gender ist dabei ein zentrales Thema, aber es kann auch um z. B. rassistische oder ableistische Begriffe gehen. Auf der individuellen Ebene verletzen diskriminierende Begriffe Einzelpersonen, schließen sie aus oder sprechen ihnen sogar ihre Existenz ab. Eine Frage, die wir (alle, die Sprache verwenden) uns stellen können, ist also, ob wir Verletzung reduzieren oder reproduzieren wollen. Neben der individuellen Ebene ist jede Sprachhandlung aber auch Teil eines größeren Ganzen: Wenn also DeepL „nurse“ zu „Krankenschwester“ macht (und nicht etwa zu „Pflegeperson“), trägt das auf der offensichtlichsten Ebene zu der Vorstellung bei, dass dies ein Job sei, der eher von Frauen erledigt werden sollte. Dass diese Art von Pflegearbeit, die im Übrigen strukturell unterbewertet, unterbezahlt und wenig prestigeträchtig ist, ein angemessener weiblicher Zeitvertreib sei. D. h., jede Begriffswahl kann gesellschaftliche Normen, die zu struktureller Unterdrückung beitragen, aufrechterhalten oder sie anfechten.

Wenn wir (die Autorinnen dieses Textes) selbst maschinelle Übersetzung benutzen, achten wir besonders auf Personenbezeichnungen, um Geschlechtszuschreibungen im Zweifelsfall in der Übersetzung anzupassen. Doch die Verantwortung für eine Übersetzung liegt nicht allein auf den Schultern von (Literatur-)Übersetzer:innen. Diese Arbeit ist Teil größerer Strukturen, die es erleichtern oder erschweren, die sprachlichen Dimensionen von Diskriminierung in der Arbeit zu berücksichtigen. Mit einigen Vorstößen können Literaturübersetzer:innen Wegbereiter:innen sein, wenn sich die Verlage darauf einlassen. Aber wie Isabel Bogdan einmal im Kulturpodcast Lakonisch Elegant erklärte, sind Übersetzer:innen nicht unbedingt in einer starken Ausgangsposition in Verhandlungen mit Verlagen, was u. a. an der traditionellen Unterbewertung und Unterbezahlung liegt (und damit an die Pflegeperson erinnert). Es gibt Verlage, wie z. B. den Guggolz Verlag oder w_orten & meer, die sich bewusst für mehr Wertschätzung von Übersetzer:innen einsetzen, sie besser bezahlen, ihre Namen aufs Cover drucken und ihrem Sprachgespür vertrauen, aber das ist längst nicht der Standard.

In Bezug auf einen bewussten sprachlichen Umgang mit Gender zeigt sich anhand einer Reihe von kürzlich veröffentlichten Werken, dass für Übersetzer:innen und/oder Verlage das jeweilige Genre dabei eine zentrale Rolle zu spielen scheint. In zahlreichen übersetzten Sachbüchern wird im Deutschen mittlerweile häufig das Gendersternchen verwendet, um zu verdeutlichen, dass alle Geschlechter gemeint sind (z. B. in JJ Bolas Sei kein Mann, übersetzt von Malcolm Ohanwe, in Alicia Garzas Die Kraft des Handelns, übersetzt von Katrin Harlass, Katja Wagner, Enrico Heinemann). In Memoiren, Autobiographien und Gedichten tauchen eher die Doppelnennung oder nur die feminine Form auf (z. B. Manifesto von Bernardine Evaristo, übersetzt von Tanja Handels, The Hill We Climb – Den Hügel hinauf von Amanda Gorman, übersetzt von Kübra Gümüsay, Hadija Haruna-Oelker, Uda Strätling). Im Gegensatz dazu sind in übersetzter Belletristik genderinklusive Optionen wie Sternchen, Unterstriche oder Doppelpunkte eine Seltenheit – bzw. fällt uns auf Anhieb gar kein Beispiel ein.

Bei den genannten Büchern, in denen eine genderinklusive Variante Verwendung findet, scheint ein Augenmerk auf inklusive Sprache passend, da sie sich mit gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten auseinandersetzen. Gegen genderinklusive Sprache wird oft angebracht, dass in die Übersetzung keine Diskurse hineingeschrieben werden sollten, die im Original nicht vorhanden sind. Übersetzungen nehmen aber immer an einem (oder eher an mehreren) Diskurs(en) teil. Sie gehen aus einem bestehenden Diskurs hervor und treten in einen anderen ein – und können diesen so auch mitgestalten. Yvonne Griesel und Larisa Schippel verdeutlichen in Folge 16 des Über Übersetzen Podcasts: So zu tun, als ob „Neutralität“ eine Option wäre, läuft eher darauf hinaus, den Mainstream-Diskurs – also das, was als Norm angesehen wird – aufrechtzuerhalten. Die Verlagsbranche erkennt diese zwangsläufige Teilnahme am Diskurs von Übersetzungen implizit an, wenn sie die Notwendigkeit sieht, Neuübersetzungen von „Klassikern“ herauszugeben.

Gegen genderinklusive Schreibweisen wird außerdem häufig vorgebracht, dass diese nicht ästhetisch seien oder den Lesefluss stören würden. Aber was als schön empfunden wird, ist sozial konstruiert. Schönheit wird zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten unterschiedlich definiert. Leichter zu verstehen ist das vielleicht mit Beispielen aus der Mode: In den 1990er Jahren waren Hüfthosen mit weitem Schlag in Deutschland der absolute Renner, in den 2010ern hingegen schmale High Waist Jeans. Die nigerianische Modedesignerin Folake Folarin-Coker erklärt in einem Interview mit der Italienischen Vogue, dass vor 20 Jahren keine afrikanische Frau der (oberen) Mittelklasse einen Wax-Print Fabric Mantel getragen hätte, was heute mit Stolz getan wird. Genauso wie sich der Geschmack für bestimmte Kleidungsstile über die Zeit an bestimmten Orten wandelt, können Lesegewohnheiten verändert werden.

Ein wunderschöner, höchst kreativer Umgang mit einer möglichst inklusiven Verwendung der deutschen Sprache findet sich in Sharon Dodua Otoos Roman Adas Raum – er ist keine deutsche Übersetzung, geht aber sprachlich beispielhaft voran. In Bezug auf Gender fällt auf, dass Otoo „mensch“ statt „man“ verwendet, um eine unbestimmte Person zu beschreiben. Diese Sprachveränderung haben aktivistische Communitys[02]Community beschreibt eine Gruppe, die z. B. ähnliche Erfahrungen teilt. Minorisierte Gruppen verwenden diesen Begriff verstärkt für gemeinsame … Fußnote lesen entwickelt und Otoo drückt mit der Verwendung ihre Offenheit und ihren Respekt für so einen Vorstoß aus. Adas Raum steht somit exemplarisch dafür, dass sich geschlechtergerechte Sprache und Schönheit oder eleganter Ausdruck keineswegs gegenseitig ausschließen müssen. Wir schlagen vor, diese Vorstellung aus dem Weg zu räumen. Übersetzen ist, genauso wie das Verfassen eines literarischen Textes, ein kreativer Prozess. Übersetzer:innen können ähnlich wie Otoo unzählige erfinderische Lösungsvorschläge nutzen und sich selbst neue ausdenken. Eine andere Alternative zu „man“ ist z.B „ens“, eine neue Form, um sich genderfrei auf Menschen zu beziehen. Des Weiteren haben queere Communitys in Deutschland für das in der anglophonen Welt häufig verwendete geschlechtsneutrale Pronomen „they“ mehrere Neopronomen entwickelt, darunter zum Beispiel „xier“, „ens“ oder „dey“.

Lann Hornscheidt erklärt außerdem in zahlreichen Publikationen (z. B. Sprachhaltung zeigen! Ein Argumentationsleitfaden für diskriminierungskritisches Sprechen und Schreiben oder mit Ja’n Sammla Wie spreche ich divers? Wie schreibe ich gendergerecht?), dass ein diskriminierungsfreier Ausdruck nicht nur ästhetisch sein kann, sondern darüber hinaus Texten zusätzliche Präzision gibt: So werden diverse Menschen nicht durch eine generische Form zusammengefasst, die eigentlich nur eine privilegierte Gruppe aufruft und als den Standard darstellt. Sich präzise auszudrücken bedeutet also, gesellschaftliche Vielfältigkeit mitzudenken und sprachlich sichtbar zu machen. Derartige Sprachveränderungen haben insbesondere in marginalisierten Communitys eine lange Tradition. Sprachliche Interventionen dienen dem Empowerment.[03]Empowerment ist ein Begriff für den Prozess, sich selbst zu ermächtigen oder die Handlungsmacht anderer zu fördern. Ähnlich wie bei dem Begriff … Fußnote lesen Schon in den 1960ern plädierte der berühmte nigerianische Schriftsteller Chinua Achebe dafür, die Kolonialsprache Englisch zu verändern, wenn sie für afrikanische Literatur verwendet wird: Wenn Sprache mit problematischen Machtstrukturen einhergeht, ist es möglich – und manchmal sogar geboten –, diese Sprache zu verändern. Man kann dies sowohl als Herausforderung als auch als Chance sehen.

Diese und weitere Überlegungen führten dazu, dass wir das Projekt macht.sprache. ins Leben gerufen haben. macht.sprache. ist eine Diskussionsplattform, eine Web-App und mittlerweile auch eine Erweiterung für Google Translate, die Übersetzer:innen dabei unterstützt, inklusivere Begrifflichkeiten zu verwenden, ohne vorab Expert:in auf dem Gebiet werden zu müssen. Auf macht.sprache. können im Text Checker Textausschnitte auf potenziell sensible Begriffe geprüft werden. Es werden verschiedene Übersetzungsoptionen angezeigt, die Nutzer:innen bewerten und diskutieren können. Die Erweiterung für Google Translate funktioniert ähnlich wie der Text Checker, erlaubt es Nutzer:innen aber, dieses Werkzeug in ihren täglichen Gebrauch des digitalen Übersetzungstools zu integrieren. Außerdem bietet die Erweiterung die zusätzliche Funktion, dass Personenbezeichnungen wie „nurse“ hervorgehoben und mit dem Hinweis versehen werden, auf die Geschlechtszuschreibung Acht zu geben. Sollte ein Begriff nicht hervorgehoben werden, den ein:e Nutzer:in für sensibel hält, kann dieser hinzugefügt werden. Alle registrierten Nutzer:innen haben die Möglichkeit, eigene Beispiele und Probleme in die Diskussion einzubringen. Damit wächst die macht.sprache.-Datenbank und wird stetig nützlicher für die Übersetzungsarbeit.

Natürlich kann und sollte kein digitales Hilfsmittel menschliche Übersetzer:innen ersetzen. In den seltensten Fällen gibt es Pauschallösungen. Manchmal entscheidet sich eine Übersetzerin bewusst dafür, diskriminierende Begriffe oder das generische Maskulinum beizubehalten – wie Mirjam Nuenning in ihrer (Neu-)Übersetzung von Octavia Butlers Kindred, in der sie sich dafür entschied, das N-Wort beizubehalten und keine geschlechtsneutrale oder -inklusive Formulierung für „Sklave“ zu verwenden. Beide Entscheidungen wurden sorgfältig abgewogen und die Überlegungen dahinter werden im Vorwort des Buches deutlich zum Ausdruck gebracht. Diese Entscheidungen sowie das erklärende Vorwort zeigen, dass Übersetzungsansätze und eine sensible Sprache immer entsprechend ihrer besonderen Nuancen und Kontexte konjugiert werden sollten, und dass es für eine Übersetzung sehr wertvoll sein kann, einen klaren Rahmen dafür zu bieten, wie sie sich selbst als Teil eines Diskurses versteht.

Der Ton, in dem Diskussionen über sprachlichen Wandel und politische Sensibilität geführt werden, sollte nicht herablassend oder elitär sein. Wir wünschen uns, dass wir zukünftig nicht mehr darüber diskutieren müssen, ob es sprachlichen Wandel geben sollte, und uns stattdessen mit der spannenderen und produktiveren Frage beschäftigen: Wie kann sprachlicher Wandel für politische Sensibilität am besten erreicht werden?

Die Diskussion auf macht.sprache. geht weiter und alle Interessierten sind herzlich eingeladen, sich daran zu beteiligen.

References
01 Im Englischen wird der Ausdruck „piece of cake“ verwendet, um zu sagen, dass etwas leicht oder unkompliziert ist – was auf das Übersetzen nicht zutrifft.
02 Community beschreibt eine Gruppe, die z. B. ähnliche Erfahrungen teilt. Minorisierte Gruppen verwenden diesen Begriff verstärkt für gemeinsame politische Zwecke. Wir benutzen ihn in diesem Text auf Englisch, da er Teil eines diskriminierungskritischen Diskurses ist und ein deutsches Äquivalent noch etabliert werden muss.
03 Empowerment ist ein Begriff für den Prozess, sich selbst zu ermächtigen oder die Handlungsmacht anderer zu fördern. Ähnlich wie bei dem Begriff Community haben wir uns in diesem Text für die Beibehaltung des englischen Begriffs entschieden, da er Teil eines diskriminierungskritischen Diskurses ist und ein deutsches Äquivalent noch etabliert werden muss.