Was Übersetzer hinterlassen.
Der Deutsche Übersetzerfonds (DÜF) hat sich mit dem Deutschen Literaturarchiv Marbach (DLA) zusammengeschlossen: In gemeinsamen Workshops und in vom DÜF bereitgestellten Stipendien erforschen Übersetzende die Nachlässe ihrer Kolleginnen und Kollegen. Nun liegen erste Essays vor, die aus diesen Forschungen hervorgegangen sind.
Übersetzernachlässe sind nach wie vor unterschätzt. Das Desiderat ist augenfällig: Über Jahrhunderte waren literarische Übersetzerinnen und Übersetzer meist „unsichtbar“, nur selten wurden ihre Namen genannt, und es gab kaum Urheberrechte. Erst seit dem 20. Jahrhundert wird die Übersetzung als eigenständige literarische Gattung reflektiert.
Noch nie war das Wissen der Übersetzerinnen und Übersetzer, der Austausch, die Beschäftigung mit Möglichkeit und Qualität von Übersetzungen – das Nachdenken über die Poetik der Übersetzung also – so vielsinnig und vielschichtig und vielsprachig wie heute. Doch mehrheitlich konzentriert sich die Forschung zur Übersetzungskultur immer noch auf Lexik- und Textvergleiche (wodurch zeichnet sich welche Übersetzung aus?) und auf bewertende Diskussionen einzelner Übersetzungsentscheidungen. Als Materialien dienen neben den veröffentlichten Werken vor allem Briefe, Gutachten, Manuskripte, Verträge – aus Nachlässen von Autoren, Zeitschriften und Verlagen. Dass Übersetzer „eigene vier Wände“ haben, im Bergwerk der Sprache eigene Wege und Umwege und Irrwege gehen, dass sie als Kulturtransporteure eigene Monologe und Dialoge mit der Originalsprache und der Originalkultur ebenso wie mit der Zielsprache und Zielkultur führen, erkennt man in seiner Bedeutung erst, wenn man ihre Nachlässe studiert.
Es ist in Deutschland seit mehr als hundert Jahren eine Selbstverständlichkeit, Nachlässe von Autorinnen und Autoren für die Nachwelt zu sichern, um Auskunft zu erhalten, wie sie lebten, wie sie die Sprache bewegten und sich von ihr und ihren Zeitgenossen bewegen ließen. Der spezifische Beitrag der einzelnen Übersetzer und Übersetzerinnen zur Literatur ihrer Zeit ist noch immer weitgehend unterbelichtet, eine wichtige Quelle übersetzerischer Selbstreflexion unerschlossen. Doch auf welche Weise Übersetzerinnen ihrerseits die Kultur und die Sprachkunst geprägt haben und prägen, harrt der Forschung. Und davor: der Archivierung.