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Veröffentlicht am 26.12.21

Übertitelung

Ich kann wirklich gut Spagat, denn Übertitler:innen üben ihn jeden Tag – zwischen Literatur und Pragmatik, Mündlichkeit und Schriftlichkeit, Genauigkeit und großzügigem Darüberhinweggehen. Das beherrschen wir, denn unser Ausgangstext ist nicht wie bei einer Dramenübersetzung ein gedrucktes Drama, sondern die jeweilige Inszenierung, die gerade stattfindet, mit ihren Improvisationen, Texthängern, dem Bühnenbild, den Lichtverhältnissen, einem bestimmten Publikum, das die Sprache der Inszenierung nicht versteht oder eben doch und und und.

Wir übersetzen zunächst den Text, passen ihn dann genau anhand einer Aufzeichnung oder bei der Probe selbst an die Inszenierung an, kürzen, lassen Pausen entstehen, ziehen Sätze auseinander oder verdichten sie, bewahren die Figurenreden, die stilistischen Brüche, gehen mit bestehenden Übersetzungen von Klassikern um etc. Es erfordert neben Erfahrung als Dramenübersetzer:in viel dramaturgisches Geschick, denn jede Inszenierung hat ihren eigenen Rhythmus, in dem sekundengenau die vorbereiteten Übertitel eingeblendet werden.

Übersetzt wird immer der gesprochene Text auf der Bühne. Er muss in einen schnell zu rezipierenden Text umgearbeitet werden, der sich u.U. mit zwei Zeilen begnügen muss. Wir müssen einen gesprochenen Text in einen geschriebenen übersetzen und das ist der große Unterschied zur Dramenübersetzung, denn hier ändert sich der Skopos, der Zweck der Übersetzung. Aber oft denken die Theater: Wieso, Schlegel und Tieck haben Shakespeare doch schon übersetzt. Ein weiterer Spagat, denn das Publikum hat sein eigenes kulturelles Gedächtnis, kann u.U. Passagen oder Sätze von Goethe, Shakespeare, Tschechow u.a. auswendig. Das müssen wir beachten, denn niemand darf am Übertitel hängen bleiben, über die Übersetzung nachdenken, sich fragen, warum dort jetzt nicht „Sein oder nicht sein“ steht, denn es geht immer in erster Linie um die Schauspieler:innen auf der Bühne.

Und auch hier muss man wissen, ein falsch eingeblendeter Übertitel verleitet das Publikum zu verfrühtem Lachen, die Schauspielerin fühlt sich, als hätte sie gerade bei einer Familienfeier einen super Witz angefangen und im letzten Moment nimmt ihr Onkel ihr – wie immer – die Pointe vorweg. Das kann eine ganze Inszenierung zerstören. Ebenso wird ein Theaterpublikum beim vierten Rechtschreibfehler oder fehlenden Komma unwirsch und das spüren die Schauspieler:innen auf der Bühne – sie wissen nur nicht warum.

Es gäbe noch so viele Anekdoten, aber eins wird vielleicht klar, Übertiteler:innen sind ein Rädchen im Getriebe der Gewerke der Theaters und genau da liegt der Reiz und die Herausforderung.

Uns muss immer bewusst sein, dass unsere Übersetzung der Inszenierung nur hinzugefügt wird, wir ergänzen nur die Sprache auf der Bühne; die Namen, Lieder, Wiederholungen etc. müssen wir nicht übersetzen, die versteht unser Publikum auch ohne Übertitel. Wenn wir ihnen bespielweise einen Namen „beigebracht“ haben, brauchen wir ihn nicht mehr zu schreiben, dann verstehen sie ihn auch so. Es ist eine ständige Suche nach Redundanzen, jedes Kopfnicken benötigt kein „ja“ mehr in den Übertiteln. Übertitel ergänzen, um den Blick auf die Bühne freizugeben, sind bescheiden, buhlen nicht um Aufmerksamkeit, sondern dienen der Bühne. Daher sagt man auch oft zu uns: „Ach, die Übertitel hätte ich nicht gebraucht, Sprache ist mir da nicht so wichtig.“

Wir lächeln dazu und blenden weiter unsere Übertitel ein, hoffen auf wenig Improvisationen oder Texthänger auf der Bühne, begleiten die Akteure auf der Bühne, so gut es geht. Im absoluten Notfall wird der Shutter vor dem Projektor geschlossen, so dass man in Ruhe wieder seinen Einsatz finden kann. Jede Übertitler:in hat eine eigene Handschrift, manche blenden ganz simultan ein, andere verzögern, damit das Publikum erst sehen kann, wer den Mund öffnet, manche lassen die Titel länger stehen, manche kürzer. Man muss mit der Inszenierung atmen lernen, dann hat das Publikum das Gefühl, gut begleitet zu werden. Und gute Übertitel sind nie fertig, sie werden nach jeder Vorstellung weiter verbessert und nehmen wie alle anderen im Theater die Kritik der Regie nach jeder Vorstellung an.

Übertitel sind immer Teil der Inszenierung, sehr präsent und daher Teil des Kunstwerks; das zu vermitteln und transparent zu machen ist unsere Aufgabe. Denn erst wenn es ein Vertrauen in unsere Arbeit gibt, können die Künstler:innen die Translation im Theater wirklich ästhetisch integrieren. Dann kann man sogar Schrift großflächig auf die Bühnenwand projizieren wie Ariane Mnouchkine, die dazu sagt:

Ein schöner Schriftzug in meiner Inszenierung stört mich überhaupt nicht, aber eins will ich wirklich nicht, dass das Publikum den Blick von meiner Inszenierung abwendet![01]“Schön muss es sein!”. Ariane Mnochkine. In: Griesel Yvonne (Hsg.): Welttheater verstehen (2014:30), Alexander Verlag Berlin.

References
01 “Schön muss es sein!”. Ariane Mnochkine. In: Griesel Yvonne (Hsg.): Welttheater verstehen (2014:30), Alexander Verlag Berlin.