Gebärdensprache
Als hörende Person, die Gebärdensprache noch nicht gelernt hat, sehe ich die Bewegungen der sprechenden Person, doch ich verstehe sie nicht. Aber ich weiß, dass es keine Gesten sind, sondern Gebärden, die je sprachliche Bedeutungen tragen.
Dunkelheit ist wie Stille und grelles Licht sehr laut. Denn die Aufmerksamkeit für die gesprochene Gebärdensprache liegt im visuellen Sinn. Ich verstehe, dass Gebärdensprache und Lautsprache schon immer in einem Machtverhältnis zueinanderstanden. Und dass die Lautsprache das Sprechen mit Gebärden nicht in ihre Alltagsmetaphorik übernommen hat. Denn, statt sich auf die Zunge zu beißen, müsste es auch heißen: die Hände zu verstecken. Statt nur Luft zu holen, auch: mit den Armen auszuholen. Dass ein Wort nicht nur auf der Zunge liegt, sondern auch in den Händen. Dass nicht nur die Zunge im Zaum gehalten werden kann, sondern auch die Füße. Dass nicht nur die Zunge spitz ist, sondern auch die Finger.
Eine Möglichkeit der Übersetzung, die ich für ein Projekt ausprobiert habe, ist, die Bewegung der Gebärde zu beschreiben. So bekommt die Suche nach dem richtigen Wort einen doppelten Boden. Beispielsweise wird dann die entsprechende Gebärde mit schwitzen übersetzt oder mit zwei handrücken fahren die wangen entlang. Eine andere mit orgasmus oder mit handfontänen.
Julia Kulda-Hroch hat eine Gebärdenpoesie um das Palindrom Leben-Nebel entwickelt. Sie daktyliert L-E-B-E-N mit einer Hand, sie zeigt also die Buchstaben nacheinander mit dem Fingeralphabet. Die zweite Hand zeigt die Handform für Nebel und verdeckt dabei die erste Hand beim Daktylieren. Zum Schluss daktyliert sie N-E-B-E-L, eine Bewegung, die unverdeckt sichtbar ist.
Die Dynamik und die Räumlichkeit der Performance zeigte mir als Übersetzerin sofort die Grenzen der linearen Schrift, die mir unmittelbar als mein Werkzeug einfiel. Ich wollte jedoch eine Form finden, die diese Grenzen zu lockern vermag, und fand eine Antwort in der Visuellen Poesie. Aus der Handform wird in meiner Übersetzung ein Buchstabennebel. Dabei können die einzelnen Buchstaben des deutschsprachigen Alphabets die Dichte der physischen Hand höchstens andeuten. Meine Übersetzung sieht nun wie folgt aus: