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Veröffentlicht am 26.12.21

Humor

Im Esperanto steckt in dem Wort humoro das Wort oro, Gold – eine falsche Herleitung, aber der Zufall ist mitnichten ein besoffener Kutscher, wie Nestroy sagt, er führt die Dinge zusammen, die wir als zusammengehörig empfinden. Denn der Humor ist bekanntlich golden, und wenn er gut ist, strahlt und glänzt er, ohne dass man ihn immer wieder aufpolieren müsste. Nur der Literaturübersetzer strahlt nicht, den der Humor, an dem er sich ewig und drei Tage abarbeitet, meistens weit unter den gesetzlichen Mindestlohn drückt.

Wer Humor übersetzen will, sollte erst einmal ‚Humor‘ übersetzen. Lat. humor bedeutet Feuchtigkeit, die vier Körpersäfte sollten auch im zu übersetzenden Text einigermaßen ausgeglichen sein, denn wenn der Humor zu trocken ist, hat zumindest der Übersetzer seine liebe Müh. Das ganze Wortfeld ist komplex: Humor hat man, Spaß hat man ebenfalls, aber nicht als Eigenschaft, einen Scherz erlaubt man sich, einen Schwank erzählt man, Witz und Posse reißt man, Bonmot, Kalauer, Jux und Zote sollte man sich als Autor wie als Übersetzer verkneifen, fun, fun, fun, drôle … Der drollige, launige, närrische Übersetzer entdeckt Komik in einer Situation oder Handlung, den Witz im Sinne von engl. wit dagegen in der Sprache. Der Sprachwitz ist somit das eigentliche Betätigungsfeld des Literaturübersetzers, der oft genug eine Literaturübersetzerin ist, und es ist zu hoffen, dass dieser/diese (usf.) eine gehörige Portion Scharfsinn, engl. wit, mitbringt, um den ganzen fun, fun, fun … auseinanderzuklamüsern – und auch ein bisschen Humor bzw. Selbstironie, denn die Arbeit ruiniert die Augen und ist wirklich schlecht bezahlt. Witze dagegen sind nicht unbedingt Sache des Literaturübersetzers. Zum Glück. Es gibt gute Gründe dafür, dass bestimmte Kurzgenres – Aphorismen und Kalendersprüche zum Beispiel – meist unübersetzt bleiben, sie sind kulturspezifisch und oft auch abgeschmackt wie die Namen von Friseursalons, die man in ihren originalsprachlichen Ausprägungen einfach mal auf sich wirken lassen sollte: His and Hairs; A Cut Above – okay, das kennt man. Aber Kaiserschnitt?

Manchmal wache ich nachts schweißgebadet auf, mein Albtraum: Unter Zeitdruck ein Buch mit New Yorker-Cartoons übersetzen zu müssen, z.B. diesen: Eine Katze sitzt neben einem Katzenklo, ihr Besitzer schaut auf sie hinab und sagt: Never, ever, think outside the box! Der Abgabetermin droht, ich bin verzweifelt, ich muss mich entscheiden: Übersetze ich gar nichts oder übersetze ich die ganze Welt? Aber es könnte ja noch viel schlimmer kommen. Was, wenn ich ein Cartoon übersetzen müsste, das überhaupt keine Bildunterschrift hat? Wie übersetzt man das Schweigen? „Ein Ding ist ein Loch in einem Ding, das es nicht ist“, hat der Bildhauer Carl Andre gesagt, zu diesem Thema wie zu allen anderen. Das Schweigen ist das Nicht-Sprechen, und das Nicht-Sprechen passiert selbstverständlich in der Sprache. Den Verlag übrigens würde es freuen: Ein ganzes Buch auf einer einzigen Normseite! Schicken Sie die Rechnung gern gleich mit!