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Veröffentlicht am 24.03.22

Titelübersetzung (Theater)


See Primark and Die: Stücktitel in deutscher Übersetzung

Manchmal beendet man eine Übersetzung, würde das gerne mit einer guten Flasche Buzet feiern, sieht sich allerdings einer hitzigen Debatte über den Titel mit Verlag und erstaufführendem Theater ausgesetzt. Im Vertrag steht in der Regel die Formulierung: „Den deutschen Titel legen Übersetzer und Verlag gemeinsam fest. In Streitfällen entscheidet der Verlag.“ Als Kompromiss kann es zu einem „Arbeitstitel“ kommen, weil man weiß, dass die Marketing-Abteilungen der Bühnen oft eigene Vorstellungen haben und vor allzu „negativen“ Begriffen zurückschrecken.

Bestimmte Titel zu übertragen kostet durchaus Zeit und Nerven, vor allem wenn keine unmittelbare Entsprechung existiert und die hiesige Version zu plump interpretierend oder missverständlich zu klingen droht. Letzteres war bei meiner ersten Übersetzung der Fall, Catherine Hayes’ Not Waving. Der englische Titel verweist auf die Schlusszeilen eines berühmten Gedichts von Stevie Smith: „I was much too far out all my life / And not waving but drowning.“ Bei uns ist das Zitat leider nicht gängig, so dass „Und winkte nicht“ keine Resonanz besitzt. Der Verlag zitierte daher aus einem der Lieder im Stück: Lieber fröhlich als tot. Dieser Aussage ist natürlich kaum zu widersprechen, und die Erstaufführung fand in der Fastnachts-Hochburg Mainz statt, als Titel funktionierte die Maxime leider nur bedingt. Hayes hatte bereits mit ihrem ersten Stück das Problem, dass aus Skirmishes (wörtlich: Scharmützel) am Studiotheater München Ich werd mich ewig sehnen nach dir, mein Mütterlein wurde, bevor der Verlag sich für das neutralere Töchter entschied.

Bei meiner zweiten Übersetzung taufte das Schauspiel Bonn David Hares Teeth ’n’ Smiles in Rock und Seele um. Im Publikum dürfte man eher an das Kleidungsstück gedacht haben, als an den beabsichtigten Bezug zur Rockmusik. Hare thematisiert den Auftritt einer Band beim May Ball eines Colleges in Cambridge. Neil Young sang zwar: „Even Richard Nixon has got soul“, Rock und Seele erschien aber schlicht irreführend. Eine gewisse Überambitioniertheit gibt es jedoch nicht nur an Theatern, sondern auch auf dem Buchmarkt. Eines der bekanntesten Beispiele bestand darin, aus dem wohl als zu banal empfundenen Titel von J. L. Austins lingustischem Klassiker How to do things with words das hochtrabende Zur Theorie der Sprechakte zu machen. Darüber ließe sich eine ganze Abhandlung zum Thema kultureller Transfer schreiben.

Um ähnliche Registerprobleme zu vermeiden, braucht es im Bühnenbereich ein wenig Chuzpe. Bei Michael Frayns Democracy über die Brandt-Guillaume-Affäre erwartete ich keine Schwierigkeiten, doch ein anderer Verlag hatte bereits ein Werk mit dem Titel Demokratie im Sortiment und blockierte ihn. Die festgefahrene Situation führte zu einer längeren Email-Korrespondenz mit dem Autor, der nicht wissen konnte, dass ein Vorschlag seinerseits wie Deutschländer hierzulande eher an Würstchen als an Politik denken ließ. Die Chuzpe bestand in der Idee der Verlegerin, das Stück Michael Frayn: Demokratie zu nennen, was alle Probleme auf einen Schlag löste. Alternativ hätte man das originale Democracy beibehalten können. Für diese Lösung entscheiden sich Theater gelegentlich von sich aus. Bei Mark O’Rowes Howie the Rookie verwendeten die meisten den englischen Titel statt des Vorschlags Anfänger. Nur in Wien wählte man Blutige Anfänger.

Andererseits bereiten manche Titel keine offensichtlichen Schwierigkeiten, allerdings zum Preis geringer Werbewirksamkeit, wie bei Kevin Elyots Der Tag, an dem ich still stand (The Day I Stood Still), Kenneth Lonergans Lobby Hero (Lobby Hero) oder Robert William Sherwoods Vergebung (Absolution), drei meiner vielleicht auch deshalb ungespielten Übersetzungen. Ali Taylor’s Cotton Wool erhielt eine hochkarätige Lesung beim Stückemarkt des Berliner Theatertreffens und wurde in Dresden und Osnabrück inszeniert. Dennoch sagte mir ein anderer Schauspieldirektor unumwunden: „Du hast da ein richtig gutes Stück übersetzt, aber ein so nichtssagender Titel wie Watte kommt bei mir auf kein Plakat.“ Derartiges lässt sich nur dadurch kompensieren, dass eine Autorin die deutsche Variante vorzieht und ins Englische zurückübersetzt. Das passierte bei Claire Dowies Buy little, buy less, buy nothing at all, das ich Primark sehen und sterben genannt hatte.

Grundsätzlich bewundere ich gestandene Profis wie Agatha Christie für ihre todsicheren Titel à la And then there were none, Witness for the Prosecution, Murder on the Orient Express und Death on the Nile. Und ich bin immer erleichtert, wenn ein Stück King of Hearts oder Cooking with Elvis heißt, weil das deutsche Äquivalent unterschiedlichste Publikumsschichten ansprechen wird und die in den Übersetzungsverträgen angesprochenen Streitfälle von vornherein ausgeschlossen sind.