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Veröffentlicht am 23.06.22

Kollektiv

Mai 2022. Das Übersetzer:innenkollektiv Wiese geht ins Theater: In der Berliner Volksbühne wird aus Solidarität mit den Fischer:innen und den Menschen in Odessa eine selten zu sehende, aus Ton- und Stummfilm-Fragmenten rekonstruierte Fassung von Erwin Piscators Aufstand der Fischer gezeigt, synchronisiert und besungen. Es erhebt sich ein Wechselgesang zwischen dem chorischen Sprechen der Fischer auf der Leinwand, die dem Kapitalismus in Haifischgestalt abschwören und den Streik ausrufen, sowie dem Lysius-Chor auf den Rängen der Volksbühne. Es werden die Netze nicht ausgeworfen! Streik! Aber doch ausgeworfen wird ein unsichtbares Netz, das sich zwischen den Fischern an Land spinnt, ein Netz der Solidarität, in das Huren und Hausfrauen, Witwen und Kinder einstimmen. Von den Akteur:innen auf der Bühne wird das Netz des Piscator, der an diesem Abend Pescator heißt, weitergetragen, erhält eine internationale Textur: Fischer:innen aus Odessa, Sri Lanka, Saudi-Arabien, Spanien und von der deutschen Nordseeküste kommen zu Wort. Es öffnet sich ein imaginierter Raum des Austauschs, zwischen Sprachen, die sich solidarisieren. Das Russische, Norwegische, Niederländische und Französische der Schnittfassungen wird synchron ins Deutsche – von zwei Musikern auch ins Ukrainische – übersetzt: hier spricht keine:r allein, in einer Sprache; hier ist jede:r auf jemand anderen angewiesen, um mitsprechen zu können; hier setzt sich der Demonstrationszug der Streikenden auf der Leinwand in seiner vielsprachigen Wirklichkeit im Theatersaal fort.

Auch die Wiese wird angeheuert. Auch die Wiese mischt sich unter die demonstrierenden Fischer:innen. Fischt nicht weiter. Stattdessen wird sie sich des kollektiven Übersetzens als Form des Streiks gewahr. Als Streik gegenüber der Vereinzelung, des Alleingelassenwerdens. Wir hören den Hilferuf derer, die übersetzt werden wollen. Wir werfen unsichtbare, sprachliche Netze aus, um die weitersprechen zu lassen, die alleingelassen wurden, die tot waren. 

In der Bar auf der Leinwand wirft eine Hure dem allein dasitzenden Fischer, der sich als einziger an diesem Abend nicht vom Kapitalisten bestechen lässt, ihr Tuch um die Schulter – was ein Fang! –„Na, Bootsmann, sitzt du auf einer Sandbank?“ „Schönes Tuch,“ sagt der Bootsmann nach langem Schweigen. Wie die beiden Figuren dieser Tuchstoff verbindet, so verbinden sich auch bald die streikenden und streikbrechenden Seeleute wieder im Kampf gegen die lohndrückenden Kapitäne, Kapitalisten, Priester. 

Der Stoff, aus dem das Netz ist, geht der Wiese auf die Netzhaut. Es ist nicht zu sehen und doch ist es da. Beim Übersetzen werden die Übersetzenden vom Auge des Marktes ähnlich unsichtbar gemacht. Beim Übersetzen im Kollektiv, so könnte man meinen, werden die einzelnen Übersetzenden erst recht unsichtbar. Hier verwirklicht sich kein Ich. Hier verwirkt sich die Eingliederung in ein Milieu. Hier verwirtschaftet man gern, hängt die Selbstvermarktung freizügig an den Haken. Trotz alledem. Denn: Es herrscht eine Sprachökonomie, die kollektives Übersetzen prekarisiert. Als könne sich kein Auge, kein Ohr auf das Großgewebte des Zwischensprachigen einlassen. Als hieße es, von Genauigkeit abzusehen. Als wäre der Aufwand zu groß, der Gewinn zu gering, um Poesie hier an Land gehen zu lassen, die sich nicht in die Werften deutscher Einsprachigkeit einreiht. Aber das ist mit dem Deutsch derjenigen gesprochen, die andere Sprachen geschäftig eindeutschen wollen…

Auf der Wiese schärfen wir unsere Augen und Ohren, wetzen unsere Messer, um gemeinsam in See zu stechen. Die See ist die unebene Beschaffenheit unterschiedlicher Sprachen wie des syrischen Arabisch und Deutschen. 

Die Fischer:innen sagen: Der Preis des Lebens steigt! Die Dieselpreise steigen! Die Aktien von Rheinmetall steigen! Der Kurs, der Krieg diktiert, steigt! Auch die Preise für Wohnraum in Berlin steigen! Die Preise für kollektive Arbeitsräume steigen! Überall tönt es: Kaum Platz mehr. Die Wiese, die anfangs in der Neuen Nachbarschaft in Moabit verortet war, dann in der Lettrétage, sucht weiter nach einem Arbeitsraum, in dem kollektiv gearbeitet werden kann. Und was ist mit der Piscator-Bühne am Nollendorfplatz? Die wurde mittlerweile zur exklusiven Eventlocation umgeformt; steht meistens leer.

Die Wiese, unter die Fischer:innen gegangen, fragt weiter: Wer wird rausgefischt? Am BER Flughafen wird ein neues Abschiebezentrum geplant. Kriegsgeflüchtete aus Odessa und anderswo, die hier ankommen, werden rausgefischt. „Sind es solche, die wir an die Netze stellen können, kommen sie mit gesunden Händen, oder nicht? Dann zurück ins Meer mit ihnen! Die fliegen wieder raus!“

Wir nichtfischenden Fischer:innen besprechen untereinander, wie es ist. Vieles darf nicht so bleiben, wie es ist. Gewisse Netze mögen reißen, andere vermehren (vermeeren) sich. Wo es auf dem Schiff, das die Volksbühne für diesen Abend ist, heißt, es könne für das Kollektiv der Agitierenden keine Null-Euro-Verträge geben, weil Null-Euro-Verträge unter der Mindestlohngrenze liegen, fordern wir: 1. Übersetzen im Kollektiv muss ordentlich bezahlt und gefördert werden, 2. es braucht das Kollektivieren bzw. die Vergemeinschaftung von Räumen, an denen diese Tätigkeit ausgeübt werden kann, 3. der Unsichtbarmachung nicht-deutscher Literaturen, die in Berlin entstehen, muss widerstanden werden, 4. dem Markt, der Sprache in Einheiten denkt und nicht in Kollektiven, darf nicht ins Netz gegangen werden!