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Veröffentlicht am 03.08.22

Metapher

Übersetzung und Metapher sind Verwandte. Das griechische Verb „metaphoréin“ bedeutet „von einem Ort zum anderen tragen“. Aristoteles definierte die Metapher als „Übertragung“. Ein Wort wird aus seinem gewohnten Kontext heraus in einen anderen hinübergetragen. Die Metapher verbindet unterschiedliche Sinnbezirke zu einer neuen semantischen Einheit und stellt damit eine Beziehung her, die keine schon vorhandene Ähnlichkeit abbildet. Denn das Wort, mit dem die Metapher diese Beziehung benennt, erschafft etwas, was es zuvor nicht gab. Es entsteht nur durch die metaphorische Namensgebung und lässt sich durch kein anderes Wort ersetzen. Die Metapher entwirft neue Beschreibungen und Sichtweisen der Welt, Paul Ricœur nannte das „die ontologische Vehemenz poetisch-metaphorischer Diskurse“. 

Auch die Übersetzung verbindet Verschiedenes, zwei einander fremde Sprachen, und lässt als Übersetzung etwas Neues entstehen. Einen Text zu übersetzen, ist dem metaphorischen Prozess verwandt, bei dem etwas zum ersten Mal benannt wird. Durch die Übersetzung entsteht eine Beziehung zwischen zwei Texten, die neue Bedeutungen offenbart und neue Deutungen möglich macht. Diese Beziehung entsteht nur durch die Übersetzung und lässt sich ebenso wenig paraphrasieren oder ersetzen wie eine schöpferische, poetische Metapher.

Lange galt die Metapher als uneigentliche Rede, als rhetorische Figur, die nur der Anschaulichkeit diente. Denn man nahm an, dass es für alles ein verbum proprium, also die richtige, das Wesen einer Sache abbildende Bezeichnung gab. Was eine Metapher bedeutete, ließ sich erklären, weil es zwischen den Dingen, die die Metapher verband, ein tertium comparationis geben musste. Mit der Erkenntnis, dass die Sprachen und das Sprechen unendliche Vielfalt und Individualität sind, weil der Sprachgebrauch von der kulturellen Lebenswelt und der Subjektivität der Sprechenden geprägt ist, erfuhr die Metapher eine starke Aufwertung. In vielen Theorien der Sprachentstehung fiel der Begriff der Sprache mit dem der Metapher zusammen. Jede Sprache sei, so Jean Paul, „ein Wörterbuch erblasseter Metaphern“, Nietzsche nannte alle Worte „kühnste Metaphern“ zur willkürlichen Bezeichnung einer Relation zwischen Dingen und Menschen. Sprache war für ihn die „nachstammelnde Übersetzung der Welt in eine ganz fremde Sprache“.

So wurde der Begriff der Übersetzung selbst zur Metapher. „Übersetzen“ ist bis heute die universale Metapher für sprachliche Erkenntnis der Welt und zwischenmenschliche Verständigung. Tatsächlich übersetzen wir, um zu verstehen – gerade auch Metaphern. Unsere Sprachen sind unendlich reich an Idiomatik, an lexikalisierten, „toten“ Metaphern (Tischbein, Lebensabend, aus allen Wolken fallen, der Zahn der Zeit) und fortwährend bilden wir neue. Im alltäglichen Sprachgebrauch würde niemand solche Metaphern wörtlich nehmen. Dort „übersetzen“ wir Metaphern, indem wir sie paraphrasierend erklären – und spüren dabei doch immer, dass wir den besonderen Sinn des metaphorischen Ausdrucks nicht treffen. Hier liegt die Grenze der Metapher vom Verstehen als Übersetzen. Wer zu erklären versucht, was eine Metapher bedeutet, gebraucht wiederum Metaphern – und das gilt für konventionelle ebenso wie für kreative Metaphern: „Zwischen Licht und Wahrheit gibt es kein tertium, das nicht selbst metaphorisch wäre“ (Harald Weinrich).

Übersetzungstheorien klassifizieren die Übersetzung von Metaphern meist nach der Äquivalenz der Metapher in der Zielsprache oder ihrer Wirkung in der Übersetzung. Sind ausgangs- und zielsprachliche Metapher semantisch oder pragmatisch äquivalent (die Sonne lacht), kann ein sprachliches Bild wörtlich übersetzt werden. Kühne, schöpferische Metaphern sind laut Werner Koller leichter frei übersetzbar als konventionelle, weil sie weniger kulturspezifische Informationen enthalten als lexikalisierte metaphorische Wendungen. Bei diesen müssen zielsprachliche Äquivalente gefunden werden („etwas im Schilde führen“ z.B. mit „to be up to something“). Koller beklagt, dass viele Übersetzungen vorsichtiger mit der Sprache umgehen als das Original. Wird die Metapher paraphrasierend übersetzt, geht sie als Bild verloren („Skåpet suckar“, „der Schrank seufzt“ durch „der Schrank knarrt“). Im Gegensatz dazu kann eine Metapher in der Übersetzung auch überhöht werden, weil sie entweder nicht als lexikalisierte Idiomatik erkannt wird oder weil die Übersetzung den metaphorischen Bodensatz von abstrakten Begriffen im poetischen Kontext wiederbelebt. So wurde in einer italienischen Übersetzung von Rilkes Duineser Elegien die „gedeutete Welt“ zur „foresta di segni“, zum „Wald von Zeichen“.

Übersetzung lässt sich auch als eine Form definieren. Als Form ist sie die Beziehung der Ähnlichkeit und Verschiedenheit zwischen dem Original und seiner Übersetzung, die in jedem einzelnen Fall eine andere Gestalt annimmt. Darin wiederholt sich die autonome Struktur der metaphorischen Schöpfung. Übersetzungen und Metaphern repräsentieren nichts, was außer ihnen läge. Beide erschaffen sich ihre Verfahrensregeln immer wieder neu. Friedrich Schleiermacher nannte das Ästhetische in Texten das „vollkommen einzelne Bestimmte“. Übersetzung kann dieses schlechthin Einzigartige sichtbar machen, wenn sie das Formgesetz, das WIE des Originals in sich aufnimmt. Jede Übersetzung überträgt das Original auf einzigartige Weise in eine neue Form und wirkt damit auf es zurück. 

Poetisch-literarische Metaphern sind wörtlich gemeinte Bezeichnungen von Dingen oder Vorgängen in einer fiktionalen Welt und schon durch keinen anderen Ausdruck in ihrer eigenen Sprache ersetzbar. Die Übersetzung ist eine Metapher des Originals. Sie übersetzt nicht in erster Linie, was es bedeutet, sondern wie es etwas bedeutet. Darum nimmt sie die sprachschöpferischen Metaphern des Originals wörtlich, als Namen, als neue Begriffe, nicht als „uneigentliches Reden im Bild“.