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Veröffentlicht am 06.04.22

Sound

Sound ist alles, was klingt. Und schon dieser englische Begriff tut das ganz anders als jede seiner deutschen Übersetzungen: Schall, Geräusch, Ton, Laut, Klang, je nach Zusammenhang auch Musik („Was hörst’n du so für Sound?“). Sound ist etwas, das vom Ohr wahrgenommen und also gehört wird, sei es durch Schallwellen oder ihr Ausbleiben, denn ja: man kann auch die Stille hören (vgl. Simon & Garfunkels „Sound of Silence“ oder John Cages Musikstück 4’33’’, bei dem keines der Instrumente einen einzigen Ton spielt und nur der Ort seiner aktuellen Aufführung „erklingt“). 

Zudem schafft es unser Gehirn, dass wir auch Geschriebenes klanglich wahrnehmen und beurteilen können, und dabei, sei es im Original oder in der Übersetzung, kann Sound unter zweierlei Aspekten betrachtet werden: Es gibt den Sound eines Textes, und es gibt Sound oder Sounds in Texten. Beiden ist gemeinsam, dass sich das akustisch Wahrgenommene, das Aurale, der Ratio und dadurch objektiver Benennbarkeit weitgehend entzieht und mehr im subjektiveren Bereich „Feeling“ liegt – also genau dort, wo literarische Übersetzungen „literarisch“ werden.

Der Sound eines Textes entsteht beim Lesen im Kopf – man „hört“ ihn innerlich –, und durch diese imaginiert-sinnlichen Eindrücke wird ein „Gefühl“ erzeugt, eine Vorstellung und Beurteilung des Geschriebenen. Etliche Komponenten spielen dabei eine Rolle, zum Beispiel Wortwahl, Satzbau, Sprachrhythmus, Metrik, Verteilung von Konsonanten und Vokalen, welche Konsonanten und welche Vokale nach welcher „Rechtschreibung“, Sprachfiguren wie Alliteration oder Reim, alte versus neue Wortverwendungen, grammatikalische Korrekt- versus vorsätzliche Falschheit (etwa Konjunktive starker Verben ja oder nein), Sprachfluss und Sprechbarkeit ganz allgemein (hier wirkt der eigene Atem bzw. dessen Länge mit), Political Correctness und Gendern, Einsatz von Originalbegriffen zur geografischen Verortung des Textes, Umgangs- oder Alltagssprache zur sozialen. „Haste mal ’ne Mark?“ vermittelt einen völlig anderen Eindruck als „Könnten Sie vielleicht einen Euro entbehren?“, auch wenn der gleiche Sprechakt zugrunde liegt; die in den 1950er-Jahren noch übersetzte „Sunset-Straße“ in L.A. erzeugt nicht nur, aber auch durch ihren Klang eine ganz andere Anmutung als der längst übliche, weil eingeführte „Sunset Boulevard“. All das wird individuell unterschiedlich bewertet, verwendet und wahrgenommen (basierend auf so unpräzisen Parametern wie „Geschmack“ oder eben „Gefühl“), aber so vielschichtig, kompliziert und gleichzeitig vage diese Zusammenhänge auch sind, erkennt meist sogar der Laie, ob der Sound eines Textes „stimmt“ oder nicht.

Nicht wirklich einfacher wird es, wenn es um Sound oder Sounds in Texten geht. Solche erweitern den generellen Sound oder Ton eines Textes um konkrete Hörerlebnisse, in Form von Klängen, Geräuschen oder Musik. Ziel der Übersetzung ist immer, das, was im Originaltext beschrieben wird, auch in der Zielsprache sinnlich erfahrbar zu machen, nach dem Motto: Was hörst du, wenn du das Geschriebene liest? Und wenn du das weißt, dann sage es so auf Deutsch, dass der Leser es ebenfalls hört. Das bedeutet aber, dass etwa Peter Krauss’ faszinierendes Handwörterbuch der Vogellaute Singt der Vogel, ruft oder schlägt er? (Matthes & Seitz 2017) nicht unbedingt die beste „Übersetzung“ bringt, denn wenn ein Habichtjunges vor Hunger korrekterweise „lahnt“, weiß ohne Kontext kaum jemand, was damit gemeint sein soll. 

Ähnlich verhält es sich bei Musik: Horst Leuchtmanns
Wörterbuch Musik: englisch – deutsch, deutsch – englisch (Metzler 1998) ist äußerst hilfreich für akustische und musikalische Spezialbegriffe, aber sucht man Klänge wie den in der Popmusik prägenden, wenn nicht gar mythischen Gitarren-„Jangle“, enttäuscht die Übersetzung „rasseln, schrillen“ ebenso sehr wie das „klirren, klimpern, bimmeln“ bei Langenscheidt, auch weil keines dieser Wörter vergleichbar lieblich und verheißungsvoll „klingt“, sondern im Gegenteil den Sound nüchtern-theoretisch-beschreibend macht und ihn seiner „Aura“ beraubt (vgl. auch die genauso legendären „ringing guitars“: Man hat sie im Ohr, aber ist das wirklich ein Klingeln oder Läuten?). Aus diesem Grund werden Begriffe aus der englisch geprägten Pop- und Rockmusik oft genug direkt übernommen, um den Sound oder Ton beizubehalten, dabei dem Beispiel von Fachpresse und aktiven Musikern folgend, die beide Konventionen und einen entsprechenden Jargon pflegen, nicht wirklich verbindlich und nirgendwo gesammelt, einem ständigen Wandel unterworfen und stets um technische oder ästhetische Entwicklungen bereichert.

So desillusionierend das klingen mag, liegt aber genau darin die Chance für die, die übersetzen müssen: Wenn eine wörtlich präzise Entsprechung trotz ihrer „Richtigkeit“ die Anmutung nur platt macht oder gar zerstört, kann oder muss man etwas anderes, Besseres, inhaltlich Treffenderes finden, das den tatsächlich gemeinten Sound im Kopf des Lesers entstehen lässt. Wie bei einer Glocke, deren Klang nicht unbedingt definiert werden muss, damit man sie im Geiste hört, wird dabei oft aus weniger mehr.