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Veröffentlicht am 07.09.22

Synonym

Einmal im Übersetzerinnenleben kommt es vor, dass man 17 Synonyme für „sterben“ sucht, weil eine Figur um Worte für den Tod ihres Vaters ringt und eine halbe Seite braucht, bis sie aus einem Spektrum von „Er ist von uns gegangen“ bis „Er betrachtet die Radieschen von unten“ die richtigen findet – wie in meinem aktuellen Projekt. Ständig kommt es im Übersetzerinnenleben hingegen vor, dass wir Synonyme aus ganz praktischen Gründen suchen: Wir wollen Wiederholungen vermeiden, brauchen ein Trikolon mit dreimal gleichem Hilfsverb, oder das Original verlangt eine Alliteration. Auch beim Übersetzen von Reimen oder Wortspielen hilft uns der Blick ins Synonymwörterbuch auf die Sprünge und die richtige Spur, sei es der Duden Band 8, der Word-Thesaurus oder ganz schnöde die Suchmaschine mit „Synonym für schnöde“. Oft braucht es aber gar kein dezidiertes Synonymwörterbuch, denn schon das ganz normale zweisprachige liefert zu jedem Wort ein paar Synonyme. Und das ist der Grund, warum ich oft Wörter nachschlage, von denen ich vermeintlich genau weiß, was sie bedeuten – nicht nur, um mich zu vergewissern, dass mein Hirn richtig verkabelt ist und ich die korrekte Bedeutung im Kopf habe, sondern auch, weil der Blick auf die Bedeutungsbandbreite des Wortes automatisch den Denkraum erweitert. Jedes Synonym, das ja kaum je exakt die gleiche Bedeutung hat, öffnet das Wortfeld und lässt im Kopf eine kleine Assoziationswolke entstehen. Bedeutungen, die sich in Nuancen auffächern, verästeln, verzweigen (na, wem fällt noch ein Synonym ein?), das Gleiche mit leicht verschobenem Fokus, je nach Kontext filtert man die passende Bedeutung heraus.

Apropos passend: Seit Jahren suche ich nach der Gelegenheit, den Dornseiff aus dem Regal zu ziehen, ein Wörterbuch, das kein Synonymwörterbuch im eigentlichen Sinne ist, sondern mit genau diesen Wortfeldwolken arbeitet. Der „Deutsche Wortschatz nach Sachgruppen“, der nicht alphabetisch, sondern thematisch geordnet ist, bietet über Wortartgrenzen hinweg ein Füllhorn an sinn- und sachverwandten Wörtern. Nachdem ich ihn zu Unizeiten in einem Workshop mit Ulrich Blumenbach kennengelernt habe, benutze ich ihn selten gezielt, viel öfter grabe ich mich einfach zum Vergnügen und zur Inspiration durch die weitschweifenden Wortlisten, damit mein sprachliches Repertoire nicht schrumpft, ich nicht die immer gleichen Ausdrücke benutze. Und obwohl es weiterhin fraglich ist, ob ich das Highlight dieses Workshops – „mit der Sodafontäne unter die Jacke brausen“, laut Dornseiff ein Synonym für „Alkohol trinken“ – je in einer Übersetzung werde unterbringen können, ist nun endlich die Zeit für diesen Wörterbuchschatz gekommen: Wenn es heißt, 17 Synonyme fürs Sterben zu finden.