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Veröffentlicht am 02.03.22

Eigennamen

Words have meaning, and names have power.
Joseph Michael Straczynski: Babylon 5

Eigennamen haben ihre eigenen Regeln – so sagt man. In den meisten Sprachen ragen sie versal aus der Bleiwüste heraus wie sonst nur Satzanfänge, das Wörterbuch hat sie in Anhänge verbannt oder in die Enzyklopädie ausgebürgert, und namentlich für unser Metier gilt die Maxime, sie würden generell nicht übersetzt. Aber ist das der wahre McCoy? Äh, wer?

Gut, stimmt anscheinend so nicht. Aber wovon sprechen wir überhaupt? Eigennamen unterscheiden sich von den anderen Wörtern, linguistisch den Gattungsnamen oder Appellativa, indem sie – im Idealfall – einmalige Objekte (z.B. Personen oder Orte) bezeichnen, und eben nicht viele verschiedene Phänomene einer Objektklasse, die in ihren Facetten durch das Appellativum heraufbeschworen werden (Haus, Baum, Wetter). Aber abgesehen von sehr eindeutigen Einmaligkeiten (Nördliches Eismeer, Barack Obama, Alpha Centauri) liegen die meisten Eigennamen ebenfalls mehrfach vor (Peter, Neustadt, Jupiter), ganz abgesehen von diversen Weiterverwendungsmöglichkeiten wie die beliebten Metonymien à la Brüssel hat entschieden oder Italien schlägt England. Außerdem kann sich ja jeder Biergarten „Nördliches Eismeer“ oder „Alpha Centauri“ nennen, und futsch ist das Unikat.

Kommen wir zum Übersetzen zurück. Wie immer geht’s für uns zunächst ums Verstehen, also hier: ums Erkennen. (Ich zum Beispiel hab mal [Alexander] Pope mit dem Papst verwechselt, oberpeinlich!) Aber selbst wenn die Lage klar ist, kann lange nicht jeder Eigenname „einfach so bleiben“.

Am ehesten noch Personennamen – obwohl: während sich Philip Schwarzerdt und Ludwig Bauer immerhin noch selbst latinisierten (zu Melanchthon und Agricola), hießen Monarchen bis vor wenigen Generationen selbstverständlich in der jeweils heimischen Form: Ludwig XIV. ad Elisabeth II., aber inzwischen selbstverständlich Charles und Felipe. Von sprechenden Namen reden wir hier noch gar nicht. Sondern später.

Ortsnamen werden deutlich häufiger angeglichen, bei fremden Alphabeten hilft ohnehin nur Transliteration: Kalifornien, Florenz, Peking (oder doch lieber Beijing?), St. Petersburg (orig. Санкт-Петербург, ohne Fugen‑S!), aber das Germanisieren – und ganz allgemein das Eingemeinden – wird immer dann diffizil, wenn Orte einen umstrittenen Status haben und ihre Namen daher mit historischen oder gar aktuellen Ansprüchen verbunden sind: in Rijeka von Fiume zu sprechen, dürfen sich seit D’Annunzio selbst Italiener nicht unbedacht leisten, und meine selige Oma wurde immer ganz fuchtig, wenn ich mir „Kaliningrader Klopse“ zum Mittach gewünscht hab (sie machte mir trotzdem die besten!)

Die Namen von Wassermassen werden weniger ideologisch befrachtet und existieren daher fast immer in einzelsprachlichen Varianten: Thames/Themse/Tamise/Támesis, allerdings lassen sich hier manche von falscher Freundschaft irreführen: immer öfter liest man in Zeitungen vom „Baltischen Meer“ (= Ostsee), und der „Mittlere Osten“ (der eigentlich weiter östlich als der inzwischen homonyme Nahe Osten liegt) breitet sich flächendeckend aus…

Richtig kompliziert wird es beim Übersetzen, wenn Eigennamen in symbolischen oder Klischeebedeutungen fungieren: erstens muss man auch hier wieder Bescheid wissen, dass Trifouillis-les-Oies oder Hicktown, USA höchstwahrscheinlich keine konkreten Kommunen sind, und auch dann heißt es zu entscheiden, ob sie mit einer ähnlich gelagerten Entsprechung wie Klein-Kleckersdorf oder auch Hintertupfingen wirklich adäquat wiedergegeben sind.

Bei sprechenden Namen tritt allemal Lokalkolorit gegen Sprachwitz an: will man die Handlung eher in der Zielsprache ansiedeln und auf die Anspielungen verzichten oder die Phantasie ebenso anregen wie in der Ausgangssprache? Die Frage stellte sich schon bei Shakespeare (wo etwa Sir Oliver Mar-text zu Olivarius Textschinder wird), in Cartoons (wo Dr. Erika Fuchs Huey, Dewey and Louie zu Tick, Trick und Track machte, den doofen Goofy aber so stehen ließ – auf Frz. heißt er passenderweise Dingo) und in letzter Zeit in der Fantasyliteratur, vom Auenland der Hobbits (wunderschöne Idee von Margaret Carroux für the Shire) über Hogwarts (wieso nicht „Wildsauwarz“?) bis in die Gegenwart der aktuellen Fantasyliteratur.

Gerade in diesem Genre – dessen Leserschaft sich oft eher als Fangemeinde deklariert und auch so handelt – werden derartige Übersetzungsentscheidungen erstaunlich heftig diskutiert. Vor allem bei Neufassungen wie Wolfgang Kreges Herr der Ringe (2000), oder bei Game of Thrones, wo Zweitübersetzer Andreas Helweg sich für viele deutsche Varianten entschied: Jon Schnee oder Königsmund für King’s Landing. Bei Erscheinen der TV-Serie wurde nochmals neu übersetzt, u.a. von Thomas Gießl, der vorsichtshalber (als „Lord Varys“) engen Kontakt mit den Internet-Fanforen hielt. Und in Terry Pratchetts „Scheibenwelt“-Zyklus sprudelt es nur so von sprechenden Namen, für deren sporadische Umbenennungen Kollege Gerald Jung schon mal angefeindet und bedroht wurde.

So viel Aufmerksamkeit wünscht man sich ja beinahe auch in anderen Bereichen unseres Tuns, und es stellt sich die Frage, warum gerade die Fantasyfans so aggressives Interesse am Übersetzen haben. Abgesehen vom eponymischen Fanatismus der Internet-Gemeinden (die gern ganze Bücher selbst übersetzen, wenn’s ihnen zu langsam geht) scheinen die Namen, also die übersetzten Eigennamen, in diesen Geschichten besonders sensible Saiten anzuschlagen. Kaum hat man sich an die Schluckspechtstadt Hebringeinbiermit aus Pratchetts „Discworld“ gewöhnt – original heißt sie Dijabringabeeralong (am Lassitude River) –, da kommt für die Neufassung der Vorschlag Hassnbiermitgebrong, als Australisch-Persiflage gar nicht übel eigentlich. Trotzdem heftig befehdet, und wiederum fragt man sich, warum.

Ein ähnlicher Sonderfall sind die Titel von Stücken und Büchern: Neufassungen literarischer Werke werden gern im Feuilleton diskutiert und mit den alten verglichen. Die Leserschaft lässt sich jedoch fast nie darüber aus: man liest und genießt die neue, frische, fetzigere, unverfälschtere Version, darüber geredet wird kaum je. Außer: wenn nicht nur praktisch jeder Satz im Buch neu übersetzt, sondern auch der Titel verändert ist – und hier zeigt sich eine frappierende Parallele zum Furor der Fantasyfans. Selbst fortschrittliche Leser·innen zeigen sich da konservativ: ein neuer Titel hat wohl meist gute Gründe, doch wer einmal Schuld und Sühne gelesen hat, scheint sich nur schwer mit Verbrechen und Strafe abzufinden – auch wenn’s viel treffender übersetzt ist und sogar schon vor 100 Jahren mal so hieß. Über die Namen der Werke der Weltliteratur wird tatsächlich viel mehr gestritten als über ihre Inhalte.

Was wiederum zeigt, welch sonderbarer sprachlicher Stoff die Eigennamen sind. Sie verdienen unsere Wertschätzung, und wir sollten uns darüber klar sein, wofür genau sie in unserem Original stehen. Schließlich erscheint dessen Übersetzung unter unserem eigenen Namen!